Buchbesprechung von Dr. Christian Kreikle (Kriegshaber):
Yehuda Shenef – Das Haus der drei Sterne. Die Geschichte des jüdischen Friedhofs von Pfersee, Kriegshaber und Steppach bei Augsburg, in Österreich, Bayern und Deutschland (Kokavim-Verlag, Friedberg 2013)

In seinem dritten Buch zur jüdischen Geschichte Augsburgs (nach „Tage des Gerichts“ und „Der Augsburger Judenkirchhof“) erzählt Shenef die facettenreiche Geschichte des fast vierhundertjährigen jüdischen Friedhofs im heutigem Stadtteil Kriegshaber.
Wie schon im Titel anklingend war allein schon die territoriale Zugehörigkeit dieser Begräbnisstätte wechselhaft: Zu Beginn (1623) gehörte das Gebiet zur vorderösterreichischen Markgrafschaft Burgau, nach 1806 zum Königreich Bayern, seit 1871 schließlich zum nun entstandenen deutschen Nationalstaat.
Anders als bei einer Ruhestätte der Toten zu erwarten, war dieser Ort immer wieder auch Auslöser und Gegenstand konfliktgeladener Ereignisse:
Am 17. November 1623 – ein Tag nach der ersten noch heimlichen Beisetzung – fiel über diesem Gebiet ein Komet vom Himmel. Die damaligen Zeitgenossen interpretierten das Geschehen als Vorboten bevorstehenden Unheils (Seite 41). Bald war der Friedhof den Christen des benachbarten Bergen (heute Stadt Stadtbergen) ein Dorn im Auge, befürchteten sie wohl die Gefahr von Seuchen (Seite 39).
1648 verwüsteten schwedische Truppen den Friedhof (Seite 9).
1722 führte der Bau des Wächterhauses beinahe zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Österreich und der Reichsstadt Augsburg (Seite 46ff).
1807 errichtete man neben dem nun zu Bayern gehörigen Territorium gelegenen Friedhof einen „Kugelfang“ (ein Artillerie-Übungsplatz), was zur Folge hatte, dass so manche Kugel auf dem Friedhof einschlug und Trauergäste und Passanten in Mitleidenschaft zog (Seite 55). Obwohl bewusst ausgewählte Gräber 1942 von deutschen Soldaten geschändet wurden (Seite 10), überstand der Friedhof die Zeit des Nationalsozialismus. Verfallserscheinungen nach 1945 waren meist gut gemeinten Eingriffen (z. B. Baumpflanzungen 1956) geschuldet.
Nach 2005 (Tod der Friedhofspflegerin Maria Felber) verwilderte der Friedhof zusehends (Seite 21).
In den Gräbern des jüdischen Friedhofs ruhen zahlreiche bedeutende Persönlichkeiten (Münchner Hofagenten, Gelehrte, Politiker, Bankiers etc…), darunter der Kaufmann Veit Kaula, der einflussreiche Bankier und Eisenbahnpionier Isidor Obermayer, der Konsul der Vereinigten Staaten Carl Obermayer, der Gutsbesitzer Ferdinand Wertheimer (der Braunau an das Eisenbahnnetz anschloss und auf dessen Gut Jahrzehnte später Adolf Hitler katholisch getauft wurde) und der Rabbiner Ber Ulmo (vgl. Shenefs erstes Buch).
Shenef erzählt ihre Geschichte und die Ihrer Familien lebendig und anschaulich (Seite 64ff). Er verweist auf „die familiengeschichtliche Kontinuität zu den mittelalterlichen Augsburger Juden“ (siehe Klappentext) nach der Ausweisung der Juden aus der Reichsstadt im 15. Jahrhundert. So mancher Nachkomme dieser großen Familien befindet sich heute in ausgewiesenen Positionen, so zum Beispiel im Vorstand von Google oder in der israelischen Regierung (siehe Klappentext).
Einige Kapitel des Buches verdeutlichen die enge Verknüpfung der Provinzebene mit der Weltgeschichte (z.B. „Von der Kriegshaber Weltverschwörung“, Seite 113ff).
Namhafte Personen waren auch auf der Besucherseite zu verzeichnen: Während der Aufenthalt Napoleons am Friedhof 1805 ungesichert ist, war General Eisenhower, der spätere US-Präsident, ein Garant für den Erhalt der Begräbnisstätte nach 1945 (als der Friedhof eine Enklave in einem amerikanischen Wohngebiet war).
Heute liegt der Friedhof inmitten eines Wohngebiets mit vielen Migranten (so mancher mit jüdischen Wurzeln). Wenn es nach dem Wunsch der mittlerweile wieder großen jüdischen Gemeinde Augsburgs geht, soll die Örtlichkeit nach Jahrzehnten der Stilllegung wieder als Begräbnisstätte genutzt werden (Seite 11).
In seinem Buch zeigt Shenef vor allem die Bedeutung der einstmals vor Augsburg liegenden jüdischen Gemeinden Pfersee, Kriegshaber und Steppach (damals wurden die drei Gemeinden im jüdischen Sprachgebrauch als Einheit gesehen und um Ferse, Grishawer und Schtepach abzukürzen als „FaGaSch“ bezeichnet) für die kulturelle Entwicklung des bayrisch-schwäbischen Raums auf.
Durch Shenef nähern wir uns dieser oft verdrängten Vergangenheit wieder an: Sprachwissenschaftlich und kulturgeschichtlich fundiert, schließt er die Lücken aus der Perspektive eines jüdischen Augsburgers mit amerikanischen, israelischen und deutschen Wurzeln. Er verweist in seinen Beiträgen vor allem auf das relativ normale Verhältnis jüdisch-christlicher Nachbarschaft, die nach seiner Ansicht weniger von Konflikten bestimmt war als dies die deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 oft nahelegte. Nicht zuletzt ist Shenefs Buch ein Apell das historische Erbe vor dem Verfall zu schützen und zu bewahren.
Christian Kreikle
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Dr. Christian Kreikle ist Autor der grundlegenden, akademischen Arbeit „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf – Der verloren gegangene Kampf für eine soziale Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus im Allgäu 1918-1933/34“* in welcher er den kaum beachteten Übergang vom roten Sozialismus zum braunen Nationalsozialismus in zahlreichen Biographien und Ortschaften nachzeichnet und verständlich macht. Als Kriegshaberer ist er ortskundig und für seinen Stadtteil in vielfacher Weise engagiert.
* (2 Bände, insges. 910 Seiten, Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, Saarbrücken, 2012)

Der Friedhof Anfang Juni 2014